Psychotherapeutische Praxis  Ralph Dengel
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Psychotherapie, Gesellschaft, Kosmos, Urschmerz

 

Die Wirkmacht einer Idee, sozialen Bewegung oder gar Revolution lässt sich daran erkennen, inwiefern es ihr gelingt, neue verbindliche Rechtsgrundlagen zu schaffen. Veränderungen der Gesetze bedeuten eine Neuordnung gesellschaftlicher Machtverteilung und sind daher nicht ohne Weiteres zu erzielen. In diesem Sinne ist das Psychotherapeutengesetz aus dem Jahre 1999, das den Beruf des Psychotherapeuten im Sozialgesetzbruch verankert (und damit den Anspruch der gesetzlich Versicherten auf adäquate psychotherapeutische Versorgung) einerseits Ausdruck der Bedeutung, die die Psychotherapie inzwischen in unserer Gesellschaft einnimmt. Andererseits hat dieses Gesetz der Psychotherapie einen zusätzlichen Schub gesellschaftlicher Anerkennung eingebracht und ihre Position gefestigt. Und ihre Relevanz wächst weiter: Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund psychischer Krankheiten steigen, die Nachfrage nach psychotherapeutischer Unterstützung nimmt zu, Veröffentlichungen zu psychotherapeutischen Themen sind vielfältig und werden von den Medien aufgegriffen und intensiv diskutiert. Wie ist dieser gesellschaftliche Bedeutungszuwachs von Psychologie und Psychotherapie einzuordnen und welche Konsequenzen ergeben sich aus ihm? 

 

Persönliche Krisenerfahrung aber auch die Gesetzmäßigkeiten, in denen sich Lernprozesse alltäglich vollziehen (denken wir an das Kleinkind, das, neue Horizonte witternd, die sichere Bewegung im Krabbelmodus aufgibt, um das riskante Gehen auf zwei Beinen zu erlernen) zeigen, dass sich die Dynamik des Lebens im Spannungsfeld der Pole Stabilität/Ruhe und Unruhe/Entwicklung entfaltet. Dabei ist der Grund für den erneuten Aufbruch vielleicht weniger der Wunsch, die Komfortzone eines verlässlichen Sicherheitsrahmens aufzugeben, als die Entdeckung der „Vertrautheitsselbsttäuschung“, der wir erliegen. Das Gewohnte, das uns Halt geben soll, kann seine Versprechen auf dauerhafte Stabilität, Schutz und kontinuierliches Glück nicht einlösen, stellt uns das Leben doch vor immer neue Fragen, Aufgaben, Anforderungen, Zumutungen. So entsteht für uns die schiere Notwendigkeit, die Risiken und Gefahren einer neuen Suche auf sich zu nehmen. Unsere Instinktlosigkeit verdammt uns dazu, nie zu „sein“, sondern immer erst zu „werden“, sie definiert uns als „offene“ und daher gefährdete Wesen, die sich Schutz und Halt durch Lernen und Üben immer wieder erneut schaffen (Sloterdijk 2010) und die das Vorläufige gemachter Erfahrung und Erkenntnisse akzeptieren müssen. 

 

Evolutionsgeschichtlich betrachtet, bildet die Instinktlosigkeit des Menschen die Kehrseite seines spezifischen Potentials. Anders als die Tiere, die ihre Überlebensfähigkeit durch eine optimale Anpassung an die für sie kaum zu verändernde Umwelt sichern, ist das Verhältnis der Menschen zur Natur qualitativ verschieden. Die Entwicklung des menschlichen Gehirns ermöglichte die Herstellung und den Gebrauch von Werkzeugen und setzte dadurch eine kulturelle Evolution in Gang. Als Wesen sind wir nun nicht mehr den unmittelbaren Bedrohungen der Natur ausgeliefert, sondern es entsteht ein Prozess, in dessen Verlauf der Mensch zunehmend die Umwelt seinen Bedürfnissen anpasst. Im Verlauf von Jahrhunderten hat der Mensch so das Antlitz der Welt verändert. Der ständigen Wandlungen unterzogene, nie abgeschlossene Gesellschaftsprozess bildet nun den Rahmen unserer Existenz: der Mensch ist aus der Natur „herausgetreten“ und zu einem lebenslang lern- und entwicklungsfähigen Wesen geworden. Die Kultur verdammt den Menschen, wie der Philosoph Plessner es ausdrückt, zur „natürlichen Künstlichkeit“, zu seiner „exzentrischen Positionalität“ (Hörisch 2004), denn weder ruht er in der Natur, noch in der sich wandelnden Gesellschaft, noch in sich selbst.

 

Die Evolution hat dem Menschen somit die schwere Bürde eines Bewusstseins mitgegeben, das ihm die Einsicht in die Unvollkommenheit und Beschränktheit seines Selbst, in die Schrecken dieser Welt angesichts dessen, was Menschen sich gegenseitig antun, und in die Endlichkeit des eigenen Lebens beschert. Unsere Fähigkeit zur Selbstreflexion offenbart die potentielle Lächerlichkeit unseres Seins und unserer Bestrebungen (Eva und Adam erkennen ihre Nacktheit und verstecken sich voller Scham) und beraubt uns unserer Unschuld und Unbefangenheit, der Leichtigkeit des Seins. Und so wird der Mensch sich immer wieder fremd und fragt: „Wer bin ich?“. Und eben jenes Nachdenken über sich, das Klarheit schaffen soll, ist gleichzeitig ein Zeichen seiner mangelnden Identität oder Distanz zu sich selbst.

 

So ist der Mensch sich ungeheuer. Er schleppt an der Last seines Reflektionsvermögens und kann es doch nicht abschütteln. Dieser „Urschmerz des Bewussteins“ (Safranski 2010), das Wissen um Leid, Schmerz, Ungerechtigkeit und Tod, führt zu der tiefen Sehnsucht des Menschen nach Verstehen, beständigen Bindungen, zu utopischem Denken und ist das Einfallstor jener Kräfte, die Antworten geben auf die unbeantwortbaren Fragen der menschlichen Existenz. Religionen haben dem Menschen mit ihren Sinnangeboten und Regelwerken über Jahrtausende die Möglichkeit zur Transzendenz, zur Veränderung, Formung und Überschreitung des eigenen Lebens und damit Halt und Stabilität gegeben. Die Kraft ihrer Antworten war dennoch nicht von Dauer. Denn der Mensch, das Wesen, „das wissen will“ (Aristoteles), beginnt erneut seine Hinterfragungen und wie schon beim Sündenfall führt dies einerseits in einen Emanzipationsprozess und andererseits in die Obdachlosigkeit. Die Potenz des Bewusstseins zur Selbstermächtigung und -erschaffung ist nicht nur ein defensiv von Angstabwehr geprägtes Ereignis, sondern auch eines, das durch die menschliche Neugier und die menschlichen „Größenphantasien“ beflügelt wird. Immer wieder hofft der Mensch, sich selbst erlösen und seines Glückes Schmied sein zu können.

 

Am Anfang der Neuzeit steht somit die Negativerfahrung, einer harmonischen, universellen und sinnvoll gegliederten, in Gott ruhenden Ordnung entrissen zu sein: Durch die Entdeckungsreisen kommen die Europäer zu der Konfrontation mit anderen großen Kulturen, mit der Reformation, zum Untergang der Kirche als unanfechtbare Autorität. Weitere „Unordnung“ verursacht die kopernikanische Wende, durch die der Mensch seine privilegierte Stellung eines im Zentrum des Kosmos stehenden Wesens verliert. Durch all diese Veränderungen erscheint Wahrheit plötzlich als etwas Relatives und die Universalität fest gefügter Glaubensgrundsätze gerät ins Wanken und sie verlieren ihren Zugriff auf das Denken des Menschen.

 

Mit der Renaissance löst sich, begünstigt durch die konfessionellen Konflikte und das durch sie bedingte Machtvakuum, nach und nach die Philosophie aus der Bevormundung der Theologie. Zudem beginnt durch die Arbeiten von Forschern wie Kopernikus, Galilei, Kepler und Newton der Siegeszug der modernen Naturwissenschaften, mit deren Hilfe die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos, das, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, entschlüsselt werden soll. Wahrheit ist nun etwas Innerweltliches, etwas, das in der Natur mit Hilfe der Methodik von Beobachtung und Experiment entdeckt werden kann. So werden die Naturwissenschaften zu einem Religionsersatz, der eine erneute Ordnung und Systematik in die Welt zu bringen verspricht.

 

Vermittelt sind diese tiefgreifenden Entwicklungen durch die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung des Bürgertums seit dem ausgehenden Mittelalter, wodurch allmählich das moderne Individuum frei gesetzt wird. War das menschliche Erkenntnisstreben vor der neuzeitlichen Wende an die von den kirchlichen Autoritäten ausgelegte göttlichen Offenbarung gebunden und dieser untergeordnet, wird es mit Descartes („Ich denke, also bin ich.“) zum Ausdruck des Selbstbewusstseins des bürgerlichen Subjekts und seines Vertrauens in die Autorität der menschlichen Vernunft. Verbunden mit dem optimistischen Wissenschaftsbegriff entsteht die Überzeugung von dem evolutionären Fortschritt der Gesellschaft und des Menschen. Die vom Fortschrittsgedanken geprägte Erwartung der Beherrschbarkeit der Welt und der Lösbarkeit aller Probleme wird so zum Ausdruck eines Glaubens an eine „irdische Selbsterlösung“ (Willms 1975) und Bestandteil aller bürgerlichen, aufklärerischen und sozialrevolutionären Theoriebildungen und Bewegungen.    

 

Wo stehen wir heute? Der Blick auf die Geschichte zeigt, dass es dem Menschen nicht erspart bleibt, immer wieder mit dem Verlust erkämpfter Gewissheiten und der damit einhergehenden Enttäuschung konfrontiert zu sein. Das abendländische Fortschrittsdenken und die ihm innewohnenden metaphysischen Hoffnungen von einem der Geschichte innewohnenden teleologischen Entfaltungsprozess, der in die Erlösung führt, kann nicht aufrecht erhalten werden. Die Religion versprach Glück im Paradies und nach dem Sündenfall im Jenseits als Belohnung für ein gottgefälliges Leben. Der aufgeklärte Mensch mit seiner Überzeugung, dass die Geschicke seines Lebens der eigenen Gestaltungskraft bedürfen, bot sich in der bürgerlichen Welt das Versprechen, sich sein Glück durch Status und Besitz zu erarbeiten. Die sozialistische Welt mit ihren revolutionären Heilsversprechen ist ebenso gescheitert wie der Kapitalismus mit seinem, dass er Glück und Wohlstand für alle schaffen könne. Stattdessen leben wir in einer Gesellschaft sich erneut verschärfender sozialer Ungleichheit. Und auch die „verantwortungsbewusste“ Wissenschaft produziert weniger Antworten als immer neue Fragen und Ungewissheiten.

 

Astrophysik  und Biologie errechnen: Vor 13,7 Milliarden Jahren soll der Urknall das kosmische Geschehen in Gang gesetzt haben und die biologische Evolution auf der Erde von seinen Urformen bis zum Homo sapiens seit 3,5 Milliarden Jahren währen. Was sagt uns das? Kann es uns etwas sagen? Die hier bezifferten Dimensionen lassen unsere kognitiven Fundamente aus den Fugen geraten. Das Unvorstellbare bietet sich uns dar als Grenzerfahrungsrausch des Unfassbaren und erzeugt Schwindel. Es ist für uns Menschen nicht erfahrbar, was diese nur noch durch abstrakte Formeln und Modelle darstellbaren Sachverhalte bedeuten. Dagegen sprechen die Metaphern und Bilder der Mythen und religiösen Erzählungen unsere Sinne und unseren Geist ganzheitlich an und erzeugen einen tiefen von Empfinden und Verstehen geprägten Sinn.

 

Die existentiellen Fragen bleiben: „Wozu gibt es das Universum? Warum sind wir, müssen wir sein?“ Kein Mythos, keine Religion, keine Wissenschaft gibt befriedigende oder endgültige Antworten darauf. Diese Tatsache, aber auch jenes Wesensmerkmal des Menschen, das ihn im Sinne Ernst Blochs („Das Prinzip Hoffnung“) streben lässt, sein So-Sein zu transzendieren in Richtung eines utopisches Noch-Nicht, stimuliert immer wieder aufs Neue den Wunsch und die Suche nach Glauben, Hoffnung, Erlösung und Halt. Dies führt uns zurück an den Anfang des Artikels.

 

Die angesprochene Bedeutungszunahme von Psychologie und Psychotherapie in der westlichen individualisierten Welt ist sicherlich nur zu verstehen, wenn man sie im Zusammenhang mit den diskutierten religiösen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Erlösungsmodellen der Vergangenheit reflektiert. Betrachten wir die Bestsellerlisten der letzten Jahre, begegnen wir einer Überfülle von Ratgeber- und Lebenshilfeliteratur zu allen möglichen Themen, die von dem großen Bedürfnis der Menschen nach Orientierung zeugen. Psychologie und der von ihr geebnete Weg in die Innenwelt und die Auseinandersetzung mit ihr scheint eine neue Erlösungs- und Glücksperspektive zu bieten. Das Denken, die Wahrnehmung und unsere Gefühlswelt, die Programme des Gehirns und unser Hormonhaushalt rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit und werden Gegenstand von Manipulationsstrategien.

 

Hier zeigt sich der Grundwiderspruch einer durchtherapierten Gesellschaft, der auch zu einem psychotherapeutischen Problem führt. Nach Grawe ist es das Ziel von Psychotherapie, die psychische „Inkonsistenzspannung“ aufzulösen. Die in anderen Texten dargestellten Fallbeispiele (Arthur, Elke) zeigen, dass dies bedeutet, den Menschen einerseits durch die Klärung seiner Problemlage und andererseits durch Übungselemente und den Aufbau neuer Verhaltenskompetenzen mehr mit sich ins Reine zu bringen. Doch auch dort, wo dies erfolgreich gelingt, bleibt jene „Inkonsistenzspannung“ bestehen, die die Grundbedingung des menschlichen Seins darstellt: jene Konflikte, die erwachsen aus der Unzufriedenheit mit der begrenzten eigenen Existenz oder den unvollkommenen gesellschaftlichen Lebensformen, aus der Flüchtigkeit des Glücks, der Vergänglichkeit des Seins, dem Schmerz, der Sterblichkeit und den Sinnlosigkeits- oder Größengefühlen. Diese existentiellen Themen, die das menschliche Leben unter Hochspannung setzen können, lassen sich nicht reduzieren auf den Aspekt einer unausgeglichenen und deshalb therapiebedürftigen Seele.

 

Die Suggestion, die durch die Ratgeberkultur und ihrer Parole vom selbstgeschmiedeten Glück aufgebaut wird, bezeichnet Michael Mary (2003) als „Glückslüge“ und „neue Religion des 21. Jahrhunderts“. Angesichts der Tatsache, dass Religionen mit dem metaphysischen Anspruch auftreten, dem Menschen Heil und Erlösung zu bringen, ist es wichtig, die Frage zu stellen, was Psychologie und Psychotherapie tatsächlich zu leisten vermögen und wo ihre Grenzen liegen.

 

Eine wesentliche Differenzierung zwischen Psychotherapie und der Ratgeberlogik liegt in der unterschiedlichen Einschätzung der Bedeutung der Krise. Dort, wo diese im Sinne einer kurzfristigen Problembewältigung möglichst schnell „weg gemacht“ werden soll, wird ihr Potential nicht erkannt, das darin liegt, dass sich in ihr Verdrängtes zeigt, das durch behutsame Prozesse der Bewusstmachung entziffert und ausgelotet werden kann. Ein zweiter Aspekt wirft die Frage auf, ob die Interventionen darauf abzielen, den Menschen zu „sozialisieren“, also seine Anpassungsfähigkeit zu optimieren oder zu „individuieren“, was den zu mehr Identität gelangten Menschen eventuell dazu führt, „draußen“ im Leben stärker anzuecken (in Familie, Partnerschaft, Berufsleben usw.).

 

Die Begriffe „Heil“ und „Heilung“ ermöglichen eine weitere Unterscheidung. Psychotherapie hat sich auch abzugrenzen gegenüber oberflächlichen oder metaphysischen Glücks- und Erlösungsversprechen. Das Motiv zu heilen, ist gegenüber dem Anspruch, Heil zu bringen, bedeutend bescheidener (Hörisch 2004). Heilung heißt, dass Leiden, das im Zusammenhang mit spezifischen Problemen steht, gelindert oder überwunden werden kann. Psychotherapie hilft, die Situation, in der man sich befindet, besser zu verstehen. Ist dies eine traurige oder unglückliche Situation (weil man beispielsweise einen nahen Menschen verloren hat oder an einer schweren Krankheit leidet), wird  Psychotherapie auch dann, wenn sie es ermöglicht, dass eine psychische Erkrankung durch die Erarbeitung neuer Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten überwunden werden kann, keine „Wunder“ vollbringen.

 

Dies bringt uns zurück zu der „Inkonsistenzspannung“, die den Lebensweg des Menschen einfach aufgrund seines Menschseins begleitet. (Freud würde in diesem Zusammenhang einerseits von dem „Unbehagen in der Kultur“ sprechen und andererseits davon, dass es Aufgabe der Psychotherapie sei, „neurotisches Elend in gemeines Unglück zu verwandeln“). Die moderne Psychotherapie (auch die Integrativen Ansätze von Grawe oder Young) vernachlässigen die existentielle Dimension des Lebens. Ihr Modell erzeugt die Vorstellung, dass eine harmonische Bedürfnisbefriedigung ausreichen würde, um psychische Konsistenz herzustellen, und weckt so den Eindruck, die Psychotherapie kenne kein „sinnloses Leid“, keine „Unordnung“ des Lebens und der Seele. Hier greift das psychotherapeutische Modell (wie jedes in sich geschlossene Modell) zu kurz.

 

Auch wenn Psychotherapie keine Heilung des „Urschmerzes“ des Bewusstseins bewerkstelligen kann, sollte Psychotherapie ihn doch integrieren, Raum für seine Themen geben und einen Bezug herstellen zu jenen Bildern, Metaphern und Geschichten, die Philosophie, Religion, Mythen und Literatur geschaffen haben, um ihn erlebbar und handhabbar zu machen. Ein in diesem Sinne ganzheitliches Bewusstsein, das also den menschlichen Grundkonflikt nicht abspaltet und stattdessen „meine“ Stellung in Relation zum Kosmos, der Menschheitsgeschichte und der Gesellschaft mit all ihren Dramen reflektiert, kann kathartisch wirken und die Schwere und Not des aktuellen psychischen Konflikts relativieren. Wie bei einem Kippbild oder einer paradoxen Intervention kann sich in diesem Moment wieder ein Gefühl der Vertrautheitsselbsttäuschung einstellen, was den Sog des Ernsthaftigkeitsanspruchs und des Dramatischen der gegenwärtigen Lebenssituation mildert und Distanz schafft. Dies kann den Mut beflügeln, lustvoll zu neuen Ufern frischer beglückender Erfahrungen aufzubrechen. In den Worten von Nietzsche: „Durch die sichere Aussicht auf den Tod könnte jedem Leben ein köstlicher, wohlriechender Tropfen von Leichtigkeit beigemischt sein!

 

Literatur:

Hörisch, Jochen: Theorie-Apotheke. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag 2004.

Mary, Michael: Die Glückslüge. Vom Glauben an die Machbarkeit des Lebens. Köln: Bastei Lübbe 2003.

Safranski, Rüdiger: Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und das Lebbare. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2010.

Sloterdijk, Peter: Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechniken. Frankfurt am Main: Berlin: Suhrkamp Taschenbuch: 2010

Willms, Bernard: Philosophie die uns angeht. Gütersloh, Berlin: Bertelsmann Lexikon-Verlag 1975.